Herausforderungen bei der Umsetzung des Digitalpakts: ein Praxisbericht

Mit fünf Milliarden Euro bezuschusst der Staat die digitale Aufrüstung der rund 40.000 Schulen in Deutschland. Doch seit Beginn des Förderzeitraumes Mitte 2019 ist bisher nur ein geringer Anteil des Geldes in den Bildungseinrichtungen angekommen. Die Herausforderungen bei der Umsetzung des Digitalpakts Schule in die Praxis sind vielfältig. In diversen Bereichen bleiben Fragen offen, die über die bloße Finanzierung hinausreichen. Bis zur Antragsstellung, der Technikbeschaffung und dem Betrieb ist es ein langer Weg. Der Umstieg auf neue Technologien kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit, setzt medientechnisches Verständnis voraus und verlangt nach ausgeklügelten Anwendungskonzepten.

Technische Grundlagen schaffen

Um den Sprung in die digitalen Lernwelten zu schaffen, benötigen Schulen eine grundlegende Infrastruktur, die die Anforderungen an eine neue technische Ausrichtung erfüllen kann. Ohne eine stabile Anbindung ans Breitbandnetz, eine Serverumgebung und schulweites WLAN-Signal ist ein gewinnbringender Einsatz moderner Technologien nicht möglich. Gerade in ländlichen Gebieten hinkt der Glasfaserausbau noch sehr hinterher und muss erst noch erschlossen werden. Ein kostspieliges Unterfangen, das noch vor Beginn der eigentlichen Pläne steht. Erst auf solider Basis sind Investitionen in weitere Technik nützlich.

Bei der Beschaffung der Hard- und Software stehen die Verantwortlichen zusätzlich vor der Qual der Wahl. Für Leitungs- und Lehrpersonal ist es oft schwierig, überhaupt einen Überblick über das umfangreiche Angebot auf dem Markt zu erhalten. Bisher verwenden sie oft noch private Endgeräte. Zwischen Laptops, Tablets, Smartboards, Projektoren, Videokonferenzsystemen und Lernsoftware zu entscheiden, ist ohne Kenntnisse der Anforderungen, Funktionen und Unterschiede schwer zu bewerkstelligen. Falsch eingesetzt, fehlen die Mittel später vielleicht an anderer Stelle. Auch die Kompatibilität zwischen Geräten, Betriebssystemen, Programmen und Plattformen ist ein Kriterium, das bedacht werden muss. Selbst medienaffinen Lehrkräften fehlen hier häufig die Kenntnisse und auch die Zeit, sich ausführlich mit der Technik zu beschäftigen. Einfach kaufen führt nicht zum Ziel. Hier stehen auch oft falsche Erwartungen im Raum, die nicht alle Dimensionen des Prozesses erfassen.

Bürokratische Hürde überwinden

Zusätzlich erwartet die Schulen und Schulträger ein hoher administrativer Aufwand. Gelder müssen auch verwaltet werden. Da die Bedarfe für die einzelnen Schulformen und Schulen unterschiedlich sind, gibt es kaum ein einheitliches Vorgehen. Dabei würden gerade übergreifende Standards den Prozess und die betriebliche Steuerung vereinfachen.

Für die Beantragung der Fördermittel durch die Schulträger ist die Erstellung eines individuellen Medienentwicklungsplans zwingend erforderlich. Dazu muss zunächst eine Bestandsaufnahme der aktuellen technischen Begebenheiten vor Ort erfolgen. Darauf aufbauend muss analysiert werden, welche Technik für welche Zwecke angeschafft werden soll. Selbst für medienaffines Bildungspersonal ist es schwierig, die Technologien mit pädagogisch sinnvollen Konzepten zu verknüpfen. Bei der Beschaffung per Ausschreibung müssen dann auch noch leistungsfähige Dienstleister gefunden werden.
Auf Leitung und Lehrkräften, die die Digitalisierung zusätzlich zum Unterricht stemmen, lastet ein großer Druck. Die Ausarbeitung von Betriebskonzepten und Medienentwicklungsplänen gehört nicht zu ihren Aufgaben. Zu wenig Personal, zu wenig Zeit. Bis Ende 2024 soll das Geld investiert sein. Externe Firmen und Experten können Bildungsstätten bei der Organisation und Abwicklung dieser komplexen Vorhaben unterstützen. Die Gemeinden sollen darüber hinaus nach Möglichkeit zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellen.

Ist die Technik endlich da und installiert, ist die Arbeit noch lange nicht getan. Wenn technische Schwierigkeiten auftreten und die Nutzerakzeptanz dadurch verloren geht, ist keinem geholfen. Bereitstellung, Support und Wartung bleiben erstmal auch an den Pädagoginnen und Pädagogen hängen. Zwar sind die meisten bereit, hier viel Verantwortung zu übernehmen, aber es gibt auch Gegenstimmen.

Den Umstieg ist für Direktoren und Direktorinnen nicht immer einfach gegenüber dem Lehrkörper und den Eltern zu vertreten. Manche lehnen die neue Technik ab und schwören wortwörtlich auf die alte Schule oder sind schlicht überfordert mit den neuen Tools. Hier sind die Kinder als „digital natives“ den Erwachsenen oft bereits voraus. In Anbetracht des Fehlerpotenzials bei fehlender Expertise bleiben gerade ältere Lehrerinnen und Lehrer lieber bei bewährten analogen Verfahren.
Bedenken äußern Eltern auch hinsichtlich der zunehmenden Dauer der Mediennutzung, der Ablenkung durch andere Inhalte, Haltungsschäden oder auch dem Datenschutz.

Neue Möglichkeiten sinnvoll integrieren und Potenziale ausschöpfen

Lehrkräfte müssen in weitreichenden Schulungen weitergebildet und begleitet werden, um die Technologien auch in wertvolle Unterrichtskonzepte zu integrieren und deren Potenziale auszuschöpfen. Doch auch diese Fortbildungen sind nicht ganzheitlich abgedeckt. Schon in der Lehrerausbildung müssen hier Anpassungen vorgenommen werden. Medienkompetenz muss verstärkt in den Lehrplan aufgenommen werden.

Politik, AV-/IT-Unternehmen und Verlage müssen hierfür den Rahmen schaffen, um neue Lernumgebungen zu gestalten und Plattformen mit lehrreichen Inhalten zu füllen, die im Schulalltag Verwendung finden und Lerneffekte erhöhen.

Mit einem ausgearbeiteten Betriebs- und Nutzungskonzept kann der klassische Unterricht ergänzt und erweitert werden. Mit interaktiven Technologien und flexibler Software erhalten Schülerinnen und Schüler neue kreative Möglichkeiten, am Unterricht teilzunehmen und ihn aktiv mitzugestalten. Sie können selbstständig und in Ihrem Tempo lernen, gemeinsam Aufgaben bearbeiten und Unterrichtsausfälle überbrücken. Lerninhalte können besser auf die individuellen Bedürfnisse und Wissensstände angepasst werden. Komplexe Sachverhalte können anschaulich in Bild und Ton und flexiblen Apps vermittelt werden. Informationen können leicht recherchiert, ausgetauscht und organisiert werden. Der Frontalunterricht weicht immer mehr neuen Unterrichtsformen, in denen auch die Lehrkraft eine neue Position einnimmt und mehr anleitet und Hilfestellung bietet, als Wissen direkt zu vermitteln. Auch der Ort der Schule wird sich verändern. Hybride Schulkonzepte können zwischen Präsenz- und Onlineveranstaltungen variieren.

Die Corona-Pandemie zeigt längst Versäumnisse der letzten Jahre auf, hat die Digitalisierung aber auch beschleunigt. Jüngst wurden die Fördersummen um je 500 Millionen Euro für IT-Administration, Dienstlaptops und Leihgeräte für Kinder ohne Zugriff auf eigene Geräte aufgestockt.

Doch der Weg zur digitalen Bildung 2.0 ist noch lang. Es kann nur gelingen, wenn alle Themen adressiert und angegangen werden und alle Beteiligten Hand in Hand zusammenarbeiten.

Autor: Felix Niedrich, Online-Marketing Redakteur macom GmbH